(Olivier van Beneden; Managing Director JCO international)
Über die Jahre, in denen ich internationale Teams geschult habe, habe ich eine faszinierende Beobachtung gemacht. Es geht um die Art und Weise, wie verschiedene Kulturen zu „Prozessorientierung“ sowie „Ergebnisorientierung“ stehen und wie sich dies in der Art der Kommunikation widerspiegelt.
High Context und Low Context Kulturen
Wer das Konzept von High Context und Low Context Gesellschaften kennt weiß, dass Japan als die Gesellschaft mit dem höchsten „High Context Faktor“ der Welt gilt. Das heißt, dass ein großer Teil der Kommunikation auf gemeinsamen Annahmen, impliziten Signalen und nonverbalen Hinweisen basiert. Japanische Kolleg/innen und Kollegen benötigen untereinander beizeiten nur wenige Worte, weil sie sich gegenseitig intuitiv verstehen.
Im Gegensatz dazu teilen die Einwohner der verschiedenen Länder innerhalb Europas, übrigens besonders in Deutschland, viel weniger gemeinsamen Kontext (also gemeinsames Wissen).
Aufgrund ihrer kulturellen Vielfalt können Menschen dort nicht auf geteilte implizite Annahmen zurückgreifen und müssen daher vieles explizit benennen, um Missverständnisse zu vermeiden.
Ist ein Land „prozessorientiert“ oder „ergebnisorientiert“?
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Frage, ob eine Arbeitskultur eher prozessorientiert oder eher ergebnisorientiert arbeitet.
Japan ist bekannt dafür, sehr stark prozessorientiert zu arbeiten.
Europa, die USA, aber auch Indien gelten hingegen als deutlich stärker ergebnisorientiert.
Ist das nicht ein Widerspruch?
Auf den ersten Blick würde man erwarten, dass Japan als High Context Gesellschaft weniger Prozesse benötigt, weil Menschen sich ohnehin verstehen und ähnliche Vorgehensweisen automatisch teilen.
Gleichzeitig würde man annehmen, dass Länder wie die USA oder europäische Staaten aufgrund ihrer Vielfalt mehr Prozesse benötigen, weil diese dabei helfen, einheitliche Standards sicherzustellen.
In der Realität zeigt sich jedoch das genaue Gegenteil, was diese Erkenntnis besonders wichtig macht.
Ich erkläre japanischen Teilnehmenden in unseren Seminaren häufig, dass Prozesse besonders in sehr diversen Gesellschaften wichtig sind. Prozesse sind wahrscheinlich sogar noch wichtiger als in Japan, weil sie Menschen Orientierung geben, insbesondere diese nicht dieselben unausgesprochenen kulturellen Bezugspunkte teilen.
Stärken und Schwächen der japanischen Prozessorientierung
Die japanische Fokussierung auf Prozesse hat klare Stärken, nämlich werden dadurch Konsistenz, Zuverlässigkeit und Planungssicherheit garantiert.
Dennoch gibt es Schwachstellen, die man benennen muss:
- Mangel an Erklärung: In Japan werden Prozesse befolgt, ohne dass der Grund dahinter erläutert wird (oder werden muss).
- Rigidität: Prozesse scheinen oft wie „in Stein gemeißelt“, da oft die Killerphrase „that is the Japanese way“ gebraucht wird, was wiederum Anpassungen stark erschwert.
- Veraltetete Prozesse bleiben bestehen: Prozesse werden nicht automatisch hinterfragt und dann ersetzt/abgeschafft, selbst wenn sie keinen Nutzen mehr haben.
- Langsame Überprüfung: Bestehende Prozesse werden nicht immer überprüft und falls doch, dauert eine Überarbeitung eher lange.
- Überreaktionen auf Fehler: Sobald (auch nur einmal) menschliches Versagen zu einem Fehler führt, besteht häufig die Neigung oder sogar der Zwang, einen zusätzlichen Prozess einzuführen.
Abschließende Gedanken
Prozessorientierung ist weder gut noch schlecht. Ihr Wert hängt davon ab, wie sie angewendet wird und in welchem Umfeld sie zum Einsatz kommt.
In diversen Gesellschaften ohne ein hohes Maß an gemeinsamen Kontext ist ein gewisses Maß an Prozessen unverzichtbar, damit ein einheitliches Verständnis unter allen Mitarbeitenden garantiert wird. Unerlässlich sind aber, im Gegensatz zum traditionellen japanischen Ansatz, eine hohe Flexibilität und jeweils eine eindeutige Erläuterung zu Sinn und Zweck!
Wer dieses Paradox versteht, kann kulturelle Unterschiede besser einordnen, die eigene Kommunikation und Führung gezielt anzupassen.
Mehr zu solchen Themen behandeln unsere offene Workshops.