(Dieser ursprünglich im Juli 2020 auf Englisch veröffentlichte Artikel wurde von Olivier van Beneden, dem Managing Director von JCO verfasst.)
COVID-19 hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, komplett in Frage gestellt. Wir wissen jetzt mehr über Zoom- oder MS-Team-Anwendungen als noch vor ein paar Monaten und wurden bestimmt alle bereits zu einem „Online Cocktail“ oder Ähnlichem eingeladen.
Als Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich auf multikulturelle Schulungen spezialisiert hat, um die Effizienz innerhalb japanischer Unternehmen zu verbessern, habe ich über einige der Auswirkungen nachgedacht, die wir bereits erkennen können.
Für japanische Unternehmen, die im Großen und Ganzen eher hierarchisch und gruppenorientiert aufgebaut sind, könnten die Auswirkungen langanhaltend sein und die gesamte Unternehmenskultur durcheinanderwirbeln.
Neue Entscheidungsprozesse?
Ein wichtiger Aspekt, der betroffen ist, ist der japanische Entscheidungsprozess, der auf Konsens basiert und daher viele Kollegen und Abteilungen miteinbezieht. Normalerweise erfordert diese Art der Entscheidungsfindung eine Reihe von im Voraus geführten informellen Diskussionen. Diese dienen dazu, sich zunächst eher formlos zu besprechen (dem so genannten „Nemawashi“).
Diese informellen Gespräche, die in der Regel von Angesicht zu Angesicht und unter wenigen Kollegen stattfanden, müssen nun privat am Telefon oder in der Telefonkonferenz selbst geführt werden. Wir können davon ausgehen, dass derzeit die Nemawashi-Meinungsbildung zum Teil in virtuellen Sitzungen offen erfolgen muss, was zu einem offeneren Austausch führen könnte.
Der traditionelle Hanko Stempel (in Japan analog zu einer Unterschrift eingesetzt), der in japanischen Unternehmen immer noch weit verbreitet ist, wird zunehmend als veraltet angesehen und daher immer mehr durch virtuelle Signaturen ersetzt. Dasselbe gilt für den Ringi-sho, ein traditionelles papierbasiertes Genehmigungsverfahren. Solche Ringi-Umlaufmappen, folgen einer vordefinierten Route und landen auf den Schreibtischen unzähliger Kollegen, um deren Hanko Stempel zu erhalten.
Wir werden sicherlich Vorstöße sehen, die Zahl der „Abstempler“ zu reduzieren und zudem diese papierbasierten Prozesse zu digitalisieren, was bis heute nur wenige japanische Unternehmen gemacht haben.
Mehr Spezialisierung?
Als weiteres spielt die Gruppenorientierung an Arbeitsplatz eine große Rolle, die weniger auf klar definierten Stellenbeschreibungen als vielmehr auf Teamarbeit und Gruppendenken beruht. Da derzeit Besprechungen online durchgeführt werden und auch Teams online arbeiten müssen, bedarf es einer klarer abgegrenzten Verantwortlichkeit jedes einzelnen, was möglicherweise zu einer effizienteren Aufgabenverteilung führt.
Die Mitglieder in Projektteams werden in Zukunft eventuell sorgfältiger ausgewählt, was die Effizienz erhöhen könnte, da dadurch Mitarbeiter nur noch an Sitzungen teilnehmen werden, die direkt mit ihrer eigenen Arbeit zusammenhängen.
Die Art und Weise, wie Informationen weitergegeben werden, ist ebenfalls betroffen. Traditionell befinden sich eine Menge inoffizieller Informationen in japanischen Unternehmen im ständigen Umlauf, die verbal, von Angesicht zu Angesicht und oft „nach 5 Uhr“ geteilt werden.
Japaner verbringen viel Zeit in Bars, um dort Kontakte zu knüpfen, Beziehungen aufzubauen und Informationen auszutauschen. Dies wird auch nach der heißen Phase von Corona wahrscheinlich abnehmen. Daher werden Japaner/innen Wege finden müssen, um diese Begegnungen zu ersetzen. Es gibt in Japan derzeit sehr viele „virtual Nomikai“ (Casual online Get Together, bei dem man Alkohol trinkt), die aber ein echtes Treffen nur zum Teil ersetzen können.
Aus Sicht der Angestellten
Telearbeit oder Homeoffice, wurde in japanischen Unternehmen in der Vergangenheit weder im Ausland noch in Japan selbst zugelassen, geschweige denn gefördert. Aber seit Covid-19 müssen sich Unternehmen neu organisieren und jetzt ist es den meisten japanischen Mitarbeitern erlaubt, von zu Hause aus zu arbeiten. Betrachtet man diese Entwicklung aus Sicht der Arbeitnehmer, so zeigen Umfragen, dass mehr als 60 % diese Entwicklung als positiv ansehen, aber gleichzeitig erwarten, dass man im Team so weniger effizient ist.
Trotz dessen ist es alles andere als einfach, in Japan im Home Office zu arbeiten. Japanische Wohnungen und auch Häuser sind oft extrem klein. Daher ist es schwer zu Hause zu arbeiten, besonders wenn die Kinder und Frau im selben Zimmer sind.
Aus diesem Grund kamen z.B. Pensionen in der Stadt Nara auf die Idee, Gemeinschaftsräume oder auch Hotelzimmer an lokale „Telework-Flüchtlinge“ zu vermieten, die aufgrund der Coronavirus-Pandemie nicht in der Lage sind, zu Hause in einer ruhigen Arbeitsumgebung zu arbeiten. Vielleicht wird das so genannte „Workation“ Arbeitsmodell immer mehr zunehmen.
Schließlich wird ein veränderter Informationsaustausch eine der wichtigsten Auswirkungen sein, der nun online oder telefonisch durchgeführt werden muss.
Japaner zögern bekannterweise oft, direkt „Nein“ zu sagen oder ihren Kollegen oder Vorgesetzten offen zu widersprechen. Sie werden lernen müssen, sich vor allen Teilnehmern einer Telefonkonferenz klarer zu positionieren als früher. Möglicherweise wird dies zu einem offeneren Austausch führen.
Neue Arten zu Kommunizieren sind vonnöten
Internationale japanische Unternehmen stehen zudem vor der zusätzlichen Herausforderung, über Geschäftskulturen hinweg zu kommunizieren. Die subtile japanische Körpersprache wird von nicht-japanischen Kollegen möglicherweise oft nicht richtig interpretiert. Es wird online noch schwieriger werden, ein „kuuki wo yomu“ zu betreiben (also „das Lesen der Luft“, sprich „zwischen den Zeilen zu lesen“) wie Japaner es nennen. Umso wichtiger ist es für japanische Kollegen auch im Ausland, ihre Gedanken klar zu verbalisieren und bei der Kommunikation mit Ausländern explizit zu sein. Das Niveau der Englischkenntnisse vieler japanischer Manager kann hierbei eine zunehmende Herausforderung darstellen.
Während einige der Änderungen für viele Unternehmen zuerst destabilisierend wirken können, bestehen auch klare Chancen, interne Kommunikation und Effizienz zu verbessern.
Man wird sehen, ob Japans Firmen beginnen werden, die digitale Welt endlich voll einzubinden und z.B. die geliebten Faxgeräte abzuschaffen.
Entscheidend wird sein, ob Japan, aber auch wir selbst dem inneren Drang widerstehen können, wieder zur „normalen“, sprich vorherigen Arbeitsweise zurückzukehren, ohne die uns gebotenen Chancen zu nutzen.
Update:
Im Oktober 2020 erklärte der japanische Chief Human Resource Officer von Hitachi, dass im Rahmen des NEW NORMAL auch in Japan nunmehr auf Homeoffice und klar abgegrenzte Spezialisierung gesetzt werden solle. Das ist eine enorme Umkehr von alten japanischen Werten.
Mehr zu diesen und anderen Themen erfahren Sie in den neuen offenen JCO Webinaren (inklusive Zugang zu Elearning Modulen und JCO Booklet).